Der Mediationsblog: Wissenswertes über Mediation und Streitbeilegung
Kreative Konfliktlösung durch Bisoziation
Liebe Leserinnen und Leser!
Im Bereich der Mediation wird für die Lösung des jeweiligen Konflikts immer nach „kreativen“ Ideen gesucht. Unterstützt werden kann dieser Prozess durch die von dem Schriftsteller Arthur Koestler geprägte Bisoziation, die ich Ihnen heute einmal etwas näherbringen möchte.
Bisoziation ist eine anerkannte Kreativitäts- und Problemlösungsmethode. Der Begriff wird von „Assoziation“ abgeleitet. Allerdings werden im Rahmen einer Assoziation Dinge miteinander verknüpft, die sich auf einer Ebene befinden. Bei der Bisoziation ist jedoch die Aufgabe, Dinge mit einer ganz anderen Ebene zu verknüpfen, um dadurch auf ungewohnte, innovative und kreative Lösungen zu stoßen. Mit Hilfe der Bisoziation können geistige Hindernisse überwunden, Routinen abgelegt und neue Wege beschritten werden. Klingt verrückt? Sagt man Künstlern und kreativen Köpfen in all ihrer Genialität nicht auch immer nach, dass sie ein wenig verrückt sind?
Dass die Bisoziation funktionieren kann, zeigt schon die Bionik. In der Bionik dient die Natur als Inspirationsquelle für technische Entwicklungen und Errungenschaften. Der Bionik haben wir beispielsweise das Sonar als von Delfinen abgeleitetes Ortungssystem zu verdanken. Auch für den heute so beliebten Klettverschluss stand die Natur als inspirierender Pate zur Verfügung. Hier brachten Kletten den Erfinder auf die entscheidende Idee. Nachhaltig geprägt wurde die Bionik (Biologie + Technik) übrigens schon von Leonardo da Vinci, der das Lernen von der Natur befürwortete.
Die Bisoziation funktioniert aber auch in vielen grundsoliden Problembereichen, beispielsweise bei
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Problemen in technischen Bereichen
- Entwicklung und Optimierung von Produkten
- Entwicklung von Ideen für Marketing, Werbung u.a.
- Konzepterstellung
- Vorbereitung von Reden, Präsentationen und Vorträgen
- Entwicklung von kreativen Konfliktlösungen
- Kunst und Humor
Bisoziation kann jedoch nicht weiterhelfen, wenn standardisierte Lösungswege erforderlich sind. Des Weiteren benötigt Bisoziation nicht unerheblich viel Zeit.
Kreativität ist Trumpf
Kreativität kann als Grundlage für wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Fortschritt betrachtet werden. Kreativität ergibt sich durch Vorstellungsdenken oder der Zusammenfügung von Gedanken. Eine kreative Lösung oder Idee ist immer mehr als die Summe von Altbekanntem. Kreativität lässt sich eigentlich überall finden – in Menschen, in Prozessen, in Produkten und in der Umwelt. Aus spontan geäußerten Ideen oder Vorschlägen können durchaus passable Lösungswege entstehen.
Deshalb sollte Kreativität auch immer gefördert werden. Es gibt viele Prinzipien und Techniken, die die Kreativität fördern. Hierzu gehören auch die Reizwortanalyse und die Bisoziation. Bei der Reizwortanalyse wird mit themenfremden Reizwörtern „gespielt“, um alle Beteiligten abzulenken, die Situation allgemein aufzulockern und dadurch Raum für frische und vielleicht ungewöhnliche Ideen zu verleihen.
Die diesem Prinzip ähnelnde Bisoziation erfolgt jedoch eher bildhaft. Die Ideen werden durch bildhaftes Vergleichen mit „artfremden“ Bereichen gewonnen. So werden routinierte Denkabläufe überwunden und es entstehen außer- und ungewöhnliche Ideen. Nach der Grundidee der Bisoziation wird ein Problemfeld mit einem unproblematischen Feld zusammengebracht. Der unproblematische Bereich wird als fachfremder Impulsgeber ins Spiel gebracht, um das eigentliche Problem kurzfristig zurückzustellen und sich abzulenken. Nach der Auseinandersetzung mit dem unproblematischen Bereich wird sich mit neuen Ideen und Inspirationen wieder dem Problemfeld gewidmet. Häufig kann dadurch eine Liste mit unkonventionellen Lösungsansätzen und Maßnahmen zusammengetragen werden.
Voraussetzungen und Ablauf einer Bisoziation
Grundvoraussetzung für eine erfolgreiche Bisoziation ist die Bereitschaft aller Teilnehmer, unkonventionelle Gedankengänge zuzulassen und dabei festgefahrene Denkmuster zu verlassen. Wird eine Bisoziation innerbetrieblich durchgeführt, so müssen auch Geschäftsführung, Management und leitende Angestellte die Bereitschaft zeigen, diese neuartigen Lösungswege zu beschreiten. Das klingt einfach, ist es jedoch nicht. Viele Menschen scheuen die Bisoziation, weil sie Angst haben, etwas Falsches oder Dummes zu sagen und sich lächerlich zu machen. Hiervon muss man sich befreien und seiner Fantasie mehr Raum geben. Schließlich sind die genialsten Ideen und Erfindungen auch nicht systematisch „geplant“ gewesen, sondern aus kreativem Denken und ohne Absicht entstanden.
Vorkenntnisse sind für eine Bisoziation nicht erforderlich. Sofern ein Moderator oder Mediator Erfahrungen auf dem Gebiet der Bisoziation vorweisen kann, ist dies ausreichend. Erforderlich ist aber ein Raum in einem Ambiente, das sich für kreatives Arbeiten in der Gruppe eignet.
Der Moderator oder Mediator wird sich im Vorhinein mit der Problematik beschäftigen, um Bild- und Fotomaterial aus einem unproblematischen Bereich auswählen zu können. Beispiel: Bei technischen Problemstellungen könnten Naturfotos als inspirierende Denkdimension dienen. Daher ist es auch sinnvoll, entsprechende Visualisierungsflächen zur Verfügung zu stellen. Pinnwände, Standtafeln, Haftnotizen und Schreibutensilien helfen den Teilnehmern dabei, Ideen zu sammeln, zu skizzieren und später zu präsentieren.
Der Ablauf der eigentlichen Bisoziation kann frei gestaltet werden. Wichtig ist nur, dass die Teilnehmer zur Verknüpfung von zwei grundverschiedenen Themenbereichen angeregt werden. Dies erfolgt in der Regel durch
- Definition des Problems und Auswahl des anderen, problemfreien Themenbereichs
An dieser Stelle sollte das Problem aufgezeigt und eingegrenzt werden. Hilfreich ist dabei, die Ausgangsfrage explizit zu formulieren. Der zweite Bezugsrahmen kann dann willkürlich festgelegt und anhand von Bildern, Illustrationen und anderem Material visualisiert werden.
- Freie Assoziation
Den Teilnehmern wird das Bildmaterial präsentiert. Jeder Teilnehmer soll seine Gedanken, Gefühle und Ideen schriftlich festhalten, die er mit dem Material assoziiert. Am Ende werden die Notizen gesammelt und ausgetauscht.
- Analogien herausarbeiten
In dieser Bisoziationsphase arbeiten alle Teilnehmer Analogien zwischen der ursprünglichen Problemfrage und den Assoziationsergebnissen bzw. –erkenntnissen heraus. Auch die Analogien werden im Idealfall schriftlich dokumentiert und gesammelt.
- Auswertung
Über die ausgetauschten Analogien kann jetzt diskutiert werden. Sie werden bewertet und falls eine Idee sinnvoll erscheint, kann der Transfer in die ursprüngliche Domäne erfolgen. Bei einer erfolgreichen Bisoziation liegt an dieser Stelle eine denkbare Lösungsmaßnahme für das Ursprungsproblem vor.
Bisoziation zur Problemverlagerung in der Mediation
Wenn in der Mediation Maßnahmen wie Brainstorming u.a. nicht ausreichen, um kreative Lösungsideen zu erarbeiten, greifen Mediatoren auf verschiedene Techniken der Problemverlagerung zurück.
Hierzu gehören u.a. die Bionik, die Bisoziation und die Synektik, um das Problem auf einen anderen Kontext zu verlagern. Mit Hilfe der Bionik lassen sich insbesondere Analyse- und Konstellationsprobleme lösen. Aber auch bei Suchproblemen ist die Bionik hilfreich. Wird beispielsweise nach Organisationsprinzipien oder Arbeitsabläufen gesucht, könnten Insektenstaaten als Inspiration dienen.
Wird in der Mediation eine Bisoziationsphase eingelegt, arbeitet der Mediator mit Reizworten und Reizbildern. Er wählt damit ein neues Bezugssystem, das weit vom Ausgangsproblem entfernt ist und untermauert sein Vorhaben durch Stichpunkte. Die Aufmerksamkeit der Medianden verlagert sich dann auf das neue Bezugssystem, während das eigentliche Problem kurzfristig im Unterbewusstsein verschwindet. Durch eine Verbindung beider Systeme wird der Horizont aller Teilnehmer erweitert, was der Suche nach kreativen Lösungsoptionen dient.
Die Synektik, bei der Fremdes vertraut gemacht und das Problem intensiv analysiert wird, um Lösungswege aus natürlichen oder technischen Analogien zu erarbeiten, bedarf eines speziell ausgebildeten Moderators und wird in der Regel nur im Rahmen von Wirtschaftsmediationen genutzt.
In Mediationsverfahren können – müssen nicht! – alle Techniken dabei helfen, hochkomplexe Probleme zu bearbeiten. Durch die starke Verfremdung eines Problems und die kurzfristige Ablenkung lassen sich ungewöhnliche Ideen erarbeiten, die in Teilen auch umgesetzt werden können. Und wenn doch sprichwörtlich „alle Wege nach Rom führen“, könnte man ruhig den Versuch wagen, mal einen davon mit Bisoziation zu finden. Einen Versuch ist es allemal wert.
Bis zum nächsten Mal und bleiben Sie wohlauf!
Ihr Frank Hartung
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