Der Mediationsblog: Wissenswertes über Mediation und Streitbeilegung
Was Wünsche mit Wundern zu tun haben
Liebe Leserinnen und Leser,
wir Mediatoren analysieren spätestens in der Mediationsausbildung den Unterschied zwischen offenen und geschlossenen Fragen. Auf geschlossene Fragen lautet die Antwort oftmals „ja!“ oder eben „nein!“, weshalb sie in der Mediation regelmäßig nur für Feststellungen genutzt werden.
Offene Fragen bieten hingegen eine umfangreiche Bandbreite in ihrer Beantwortung. Damit fragen wir nach Meinungen, Vorgängen oder Positionen. Es handelt sich dabei nicht selten um die typischen W-Fragen; also nach „Wer?“, „Wie?“, „Was?“, „Wann?“ und „Wo?“. Wenn Mediatoren offene Fragen stellen, möchten wir die Beziehungen zwischen den Medianden analysieren. Wir fragen zum Beispiel nach der Entstehungsgeschichte des Konflikts oder was die Medianden an der Auseinandersetzung besonders schlimm finden. Mit „ja“ oder „nein“ lässt sich hierauf nicht antworten.
Warum ist dumm?
Warum-Fragen sind in der Mediation eher ungünstig, weil sie recht häufig dem Befragten das Gefühl vermitteln, sich rechtfertigen zu müssen. Wir kennen das alle noch aus der Schule: „Warum hast du das getan?“ wurden wir nicht selten samt erhobenem Zeigefinger von den Lehrern gefragt, um dann ziemlich kleinlaut eine teils entschuldigende und teils begründete Antwort zu murmeln. Aber in der Mediation geht es schließlich nicht darum, jemandem die Schuld zuzuweisen, sondern um eine gemeinsame Konfliktlösung.
Und um den Weg dorthin zu ebnen, stellen wir Mediatoren manchmal auch zunächst etwas verrückt klingende Wunderfragen. Beschrieben wurden Wunderfragen übrigens erstmals von Steve de Shazer, der als Begründer des lösungsorientierten Ansatzes in der Systemischen Therapie gilt. Wunderfragen fokussieren weder die Konfliktlösung, noch das eigentliche Problem. Mit „Angenommen, Sie wachen morgen auf und über Nacht ist ein Wunder geschehen, das den Konflikt einfach gelöst hat. Woran merken Sie das?“ fragen wir nach wahrscheinlichen Gefühlen und Verhaltensweisen, also eigentlich nach positiven Zukunftsfantasien. Bei diesen Ausführungen bekommt das so schnell gesagte Wort „Wunschdenken“ eine ganz andere Bedeutung, oder?
Wir alle wünschen uns doch Wunder!
Die Antworten, die auf eine Wunderfrage gegeben werden, fallen nahezu immer positiv aus. Die Medianden werden durch die Fragestellung angeregt, ihrer Fantasie freien Lauf zu lassen und sich Möglichkeiten vorzustellen, wie es ohne den Konflikt sein könnte. Da sie unter dem Konflikt leiden und sich belastet fühlen, sehen diese Vorstellungen naturgemäß entsprechend positiv aus. Sie formulieren dabei schlicht und ergreifend Wünsche.
Durch Antworten auf Wunderfragen lassen sich Veränderungen einleiten, die dabei helfen können, in die Phase der gemeinsamen Suche nach kreativen Lösungsoptionen überzugehen. Bei der Beantwortung der Wunderfrage wurden Wünsche geäußert, die Klarheit über die individuellen Vorstellungen gebracht haben und Veränderungen in einem ganz anderen Licht erscheinen lassen.
Herausforderung Wunderfrage
Für Mediatoren ist es nicht einfach, Wunderfragen zu stellen und für Medianden ist es nicht einfach, sie zu beantworten. Durch die Wunderfrage versucht der Mediator, seinen Medianden vom Problemdenken in der Konfliktwelt weg zu bewegen, weshalb die Frage in Abstimmung mit der non-verbalen Kommunikation eher langsam und äußerst vorsichtig gestellt wird. Denn häufig lautet die spontane Antwort darauf „Keine Ahnung; ich weiß es nicht!“, was ein Indiz dafür ist, dass der Mediand einfach noch etwas Ruhe und Zeit zum Nachdenken braucht, bevor er die Herausforderung für sich annimmt und seinen Geist die im Kopf gesetzten Grenzen überschreiten lässt.
Was wäre, wenn …
Durch die Fragestellung wird der Mediand praktisch „gezwungen“, den Konflikt geistig zu entfernen und sich vorzustellen sowie detailliert zu beschreiben, wie die Zukunft ganz ohne das Problem aussieht. Und genau so sollte sich bei einer optimal verlaufenden Mediation dann auch die Lösung des Konflikts anfühlen.
Lasst uns also alle wieder an Wünsche und Wunder glauben!
Bis zum nächsten Mal,
Ihr Frank Hartung
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