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Echte und verdeckte Emotionen in der Mediation

Liebe Leserinnen und Leser!

Wie fühlen Sie sich heute? Eigentlich wird diese Frage häufig aus Anstand gestellt, um sich nach dem Befinden zu erkundigen. Doch „fühlen“ können wir eigentlich nur Emotionen, die auch in Konflikten eine zentrale Rolle spielen.

Denn ohne Gefühle geht eigentlich nichts. Weder können wir uns ohne Emotionen streiten, noch einen Konflikt erfolgreich verarbeiten. Denken Sie nur an ein Fußball-Spiel, bei dem sich die Spieler dank der oft hitzigen Emotionen vom Trainer und den Zuschauern anfeuern lassen, um noch mehr körperliche Energien freisetzen zu können. Viele wichtige oder auch eher unwichtige Entscheidungen treffen wir auf der Basis von Emotionen. Manche sagen dazu auch „aus dem Bauch heraus“. Ohne Gefühle hätten wir überhaupt kein Gespür dafür, was richtig oder falsch ist.

Auf der anderen Seite haben Emotionen naturgemäß auch ein hohes Konfliktpotenzial. Wir fühlen Ärger, Wut oder Enttäuschung, was uns mit wehenden Fahnen in den Konflikt schreiten lässt. Um Gefühle als Ansatzpunkt für eine Konfliktlösung nutzen zu können, muss man sich sowohl als Mediator als auch als Mediand intensiv damit auseinandersetzen. Denn hinter so manch einem Gefühl versteckt sich meist eine ganz andere Empfindung.

 

Was sind eigentlich Emotionen?

Emotionen in der Mediation

Wissenschaftlich betrachtet sind Gefühle funktionelle Steuerungsprozesse, die uns Veränderungen in der Umwelt melden. Gefühle wie Hunger oder Durst haben eine lebensregulatorische Funktion und sollen unser Überleben sichern. Fühlen wir beispielsweise Hunger, setzt diese Emotion unser Denken, Planen und Entscheidungsverhalten in Gang. Wir fühlen Hunger – also essen wir.

Zu den sogenannten sozialen Emotionen zählen zum Beispiel Schuld oder Scham. Sie werden durch Lernprozesse ausgelöst, wenn wir über Situationen nachdenken oder unser Verhalten reflektieren. Für die Mediationsarbeit sind jedoch insbesondere die vier Grundgefühle

  • Ärger (mobilisiert Energie und Kraft, um Hindernisse aus dem Weg zu räumen)
  • Angst (mobilisiert Energie und Kraft, um gefährlichen Situationen aus dem Weg zu gehen)
  • Freude (Gefühl von Problem- und Drucklosigkeit führt zu Genuss und Lebensqualität, Freiheit und Fröhlichkeit)
  • Trauer (ermöglicht das Loslassen von Liebgewonnenem und einen Verlust zu verarbeiten)

relevant, auf denen weitere soziale und komplexe Emotionen aufbauen. Diese Grundgefühle müssen nicht zwingend mit einem Anlass in Verbindung stehen, sondern können auch zeitliche Bezüge und Funktionsweisen vorweisen. Berücksichtigt werden sollten jedoch auch Denkgefühle, die durch Bewertungen und Gedanken geprägt sind. Sie ergeben sich aus der Wahrnehmung einer individuellen Situation. Wir nehmen etwas wahr, bewerten es gedanklich und verhalten uns danach. Allerdings geschehen diese Bewertungen manchmal unbewusst oder nicht eindeutig. In der Mediation ist es also wichtig, Emotionen genauso zu hinterfragen wie Gedankengänge.

Denn aus unseren Gedanken ziehen wir unsere Schlussfolgerungen und Ideen, über die man durchaus diskutieren kann. Auf Gefühle haben wir jedoch kaum Einfluss. Emotionen sind hartnäckig und lassen sich nicht wegreden. Sie sind immer ehrlich, können nicht verrückt werden und fordern Akzeptanz.

 

Was sich hinter Gefühlen verbergen kann

Manchmal ist es so, dass ein Gefühl wahrgenommen wird, das eigentlich eine ganz andere Empfindung überdeckt. In diesen Fällen wird von Ersatzgefühlen gesprochen, die statt einer anderen Emotion wahrgenommen und ausgedrückt werden. Der Ersatz der jeweiligen Gefühle erfolgt unbewusst, da das ursprüngliche und authentische Gefühl als unerwünscht oder unangenehm gilt. Es fällt beispielsweise leichter, ärgerlich zu sein, weil man von seinem Freund versetzt worden ist, statt Traurigkeit oder Einsamkeit zu fühlen. Niemand ist immer ehrlich zu sich selbst – ob bewusst oder unbewusst.

Authentische Gefühle sind der Situation angemessen und treten spontan auf. Das Ersatzgefühl tritt jedoch unbewusst auf; wird aber als echtes Gefühl erlebt. Diese Ersatzemotionen haben wir unseren sozialen Lernprozessen zu verdanken. Wir lernen schon früh, welche Gefühle erwünscht, erlaubt, verboten sind oder abgelehnt werden. Schon im Kindesalter wird uns beigebracht, welche Emotionen wir haben dürfen und wie damit umzugehen ist. „Weine nicht, es ist schon alles wieder gut“, „Stell dich nicht so an, das ist doch gar nicht schlimm“ oder „Jetzt sei nicht einschnappt“ sind nur einige Beispiele dafür, was uns häufig über die Lippen kommt, ohne dass wir groß darüber nachdenken.

Gesellschaftlich unerwünscht sind in der Regel schwierige und schmerzhafte Gefühle wie Verzweiflung, Hilfslosigkeit, Angst oder Trauer. Sie verursachen das Gefühl von Schuld oder Scham, was dann verdrängt wird, weil man es nicht fühlen will oder nicht damit umzugehen weiß. Nur funktionieren Flucht und Verdrängung nicht, weil Gefühle sich nicht dauerhaft wegschieben lassen. Daher werden Ersatzgefühle entwickelt, die stellvertretend für das unerwünschte Gefühl stehen und sich besser anfühlen.

So haben viele von uns die Gefühlswelt erlernt und der durchschnittliche Gewohnheitsmensch hält gerne am Erlernten fest. Nur langsam werden freie Entwicklungen in der Erziehungsarbeit befürwortet und dafür alte Stereotypen abgelegt.

 

Warum in der Mediation auch auf Emotionen eingegangen werden sollte

In vielen Mediationsverfahren haben Emotionen nur wenig Gewicht und werden der sachlichen Ebene untergeordnet. Liegt der Fokus auf der Sachebene, lassen sich die Interessen und Positionen komfortabel sichtbar und verständlich aufzeigen. Im Laufe der Kommunikation kommen zwar Gefühle zur Sprache, werden aber selten be- oder verarbeitet. In vielen Konfliktsituationen funktioniert diese Verfahrensweise auch.

Aber in bestimmten Situationen können Emotionen sogar als Ressource für die Konfliktlösung betrachtet werden. Im ganzheitlichen Konfliktmanagement wird auch auf der emotionalen Ebene gearbeitet, die unsere Fähigkeiten der Wahrnehmung, des Denkens, des Fühlens, des Verhaltes und des Willens betrifft. Ab einer gewissen Eskalationsstufe ist es sogar zwingend notwendig, konkret mit den Emotionen zu arbeiten. Da uns echte Emotionen zeigen, was wir uns wünschen oder brauchen, lassen sie sich als Ressource für die Konfliktlösung, die persönliche Entwicklung und das „Seelenheil“ nutzen.

Wenn zum Beispiel ein Konflikt entsteht, weil ein Mediand Ärger empfindet, obwohl er eigentlich trauert, ist dies hinderlich für seine persönliche Entwicklung. Trauern und Abschied nehmen ist wichtig, um mit diesem Gefühl abschließen zu können. Der Mediand muss diese schmerzhafte Erfahrung machen, um anderen auf Augenhöhe begegnen zu können und empathisch zu sein. Empathie bedeutet die Fähigkeit und Bereitschaft, sich in andere Menschen einzufühlen und Verständnis für sie aufzubringen. Also erst dann, wenn die wahren Emotionen zugelassen, durchlebt und ausgesprochen werden können, kann auch Klarheit und Kompromissbereitschaft herbeigeführt werden, was wiederum der Konfliktlösung dient.

 

Mediation mit Fingerspitzengefühl

Mediatoren stehen häufig vor der Herausforderung, unangenehm oder negativ empfundene Emotionen anzusprechen. Auch wenn gerade Gefühle wie Angst oder Hilflosigkeit aus eigener Empathie dazu verleiten, vorschnell auf Lösungssuche zu gehen, sollte den Emotionen zunächst Beachtung und Raum gegeben werden. Durch die Würdigung und Wertschätzung dieser Gefühle erfährt der Betroffene eine persönliche Entwicklung. Er erhält die Möglichkeit der Verarbeitung und „Heilung“, was seinen Kopf für die eigentliche Konfliktlösung befreit. Visuell könnte man Gefühle manchmal als Steine betrachten, die mitten auf dem Weg liegen und ihn versperren. Die Steine müssen also zunächst betrachtet und mit etwas Mühe zur Seite geräumt werden.

Neben dem methodischen Rüstzeug benötigen Mediatoren dazu viel Einfühlungs- sowie Einschätzungsvermögen. Sie müssen in der Lage sein, wahre Gefühle von verdeckten Emotionen zu unterscheiden, um ihre Medianden in diesem Prozess zu unterstützen. Mediatoren dürfen also keine Angst vor Gefühlen haben – weder vor den eigenen, noch vor den Gefühlen anderer.

Gefühlen in Konfliktsituationen unmittelbar und in der notwendigen Intensität anzugehen, ist für die Lösung eines Konflikts hilfreich und ab einer gewissen Eskalationsstufe notwendig. Die Arbeit mit Emotionen birgt für die Medianden zahlreiche Chancen in ihrer persönlichen Entwicklung, wobei auch das nicht zu unterschätzende Seelenheil davon profitiert. Viele Konflikte lassen sich unter Einbeziehung der emotionalen Ebene also nachhaltiger lösen.

Denken Sie einmal darüber nach!

Bis zum nächsten Mal und bleiben Sie zuversichtlich!

Ihr Frank Hartung

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