Der Mediationsblog: Wissenswertes über Mediation und Streitbeilegung
Das innere Kind
Liebe Leserinnen und Leser!
Wir alle waren einmal Kind und ein großer Teil unserer Kindheit hat uns nachhaltig geprägt. Die Rede ist vom „inneren Kind“, das in jedem Erwachsenen auch heute noch verborgen ist. Insbesondere die ersten sieben Jahre sollen nach gängiger Ansicht der Psychologen über unsere Persönlichkeit sowie unser Selbstwertgefühl bestimmen. Wenn wir als Kind negative Erfahrungen gemacht haben, beeinflusst dies auch als Erwachsener unser Verhalten. Wurden wir früher oft gekränkt und haben unschöne sowie belastende Erlebnisse gehabt, gemacht, erlebt und gefühlt, bleiben diese Wunden und Narben tief in uns verwurzelt. Und so beeinflusst unser inneres Kind auch heute noch unser Verhalten und kann unverhältnismäßige Reaktionen, falsche Entscheidungen, Angstzustände und Konflikte begünstigen.
Aber fast in jeder Kindheit gab es auch glückliche Momente mit viel Spaß, Fröhlichkeit und Lachen. Überwiegen die guten Seiten, geht ein Kind stark und selbstbewusst ins Erwachsensein. Sitzen Enttäuschungen und Schmerzen jedoch sehr tief, steht uns das innere Schattenkind häufig im Weg und hindert uns daran, unser volles Potenzial auszuschöpfen. Deshalb wird aus psychologischer Sicht das innere Kind auch in „Schattenkind“ und „Sonnenkind“ unterteilt, wie es beispielsweise die bekannte Psychologin, Psychotherapeutin und Bestseller-Autorin Stefanie Stahl der nachvollziehbaren Einfachheit halber praktiziert. Hinzu kommt noch der „innere Erwachsene“ als Symbol für Vernunft und Verstand. Um uns von der Vergangenheit zu befreien und mit uns selbst ins Reine zu kommen, sollten wir mit uns mit unserem inneren Kind auseinandersetzen. Denn das innere Kind ist letztendlich die Summe aller Kindheitsprägungen, die noch heute bei uns unbewusste Muster auslöst.
Ein Beispiel:
Wurde ein Erwachsener in seiner Kindheit lieblos behandelt, ist auch später oft noch verankert, dass man den Ansprüchen anderer nicht genügt oder nicht liebenswert ist. Die Menschen sehen die Welt durch diese „Brille“ und betrachten auch andere zwischenmenschliche Beziehungen vor dem Hintergrund dieser Prägung.
In der Kindheit verfestigte Glaubenssätze
Bei der Arbeit mit dem inneren Kind geht es darum, seine Muster sowie Glaubenssätze zu erkennen und dazu in einen reflektierten Abstand zu gelangen. Zu diesem Zweck muss niemand seine komplette Seelenlandschaft bereisen und von Stunde „Null“ alles aufarbeiten. Es ist ein altes Paradigma, dass jedes negative Erlebnis unbedingt aufarbeitet werden muss. Die moderne Hirnforschung ist sogar der Meinung, dass dadurch neuronale Verknüpfungen noch verstärkt werden, was symbolisch mit ausgetretenen Pfaden verglichen werden kann – umso öfter man darüber läuft, desto fester und breiter wird der Weg! Wichtig ist nur, seinen individuellen roten Faden als Grundthema zu finden, der im Erwachsenenalter für Probleme sorgt.
Menschen mit Problemen sollten versuchen, ihr Schattenkind kennenzulernen. Sie erkennen dabei, wie ihre Prägung aussieht und welche Emotionen oder Glaubenssätze darauf basieren. Dann haben sie ihr Grundmuster oder ihre Grundstruktur gefunden, an der gearbeitet werden kann. Ertappt man sich im Alltag im „alten Modus“, wird trainiert, auf das vernünftig und durchdacht agierende erwachsene Innere umzuschalten. Dies nimmt eine Beobachtungsposition ein und betreibt Selbstregulation. Als Selbsttherapie in Eigenregie eignet sich diese Vorgehensweise für kleine bis mittlere Neurosen und Probleme mit Beziehungen oder dem Selbstwertgefühl. Menschen mit schweren Traumata, Persönlichkeitsstörungen oder Depressionen sollten aber unbedingt therapeutisch begleitet werden. Bei der Arbeit mit dem inneren Kind können so starke Gefühle hochkochen, die man vielleicht alleine kaum aushalten und bewältigen kann.
Methodisch mit dem inneren Kind arbeiten
Bei der Arbeit mit dem inneren Kind geht es darum, alte Überzeugungen zu erkennen und Verständnis dafür zu entwickeln, dass ein Großteil dieser Prägung willkürlich erfolgt ist. Selbstabwertende Glaubenssätze sind nichts anderes als ein willkürliches Ergebnis der Erziehung und stellen eher den Eltern ein Zeugnis aus. Es muss verstanden und eingesehen werden, dass das, was da passiert ist, ein Zufall war.
Im nächsten Schritt geht es um die Selbstannahme und das Selbstmitgefühl. Diese Fähigkeiten lassen sich über das Sonnenkind mit positiven Glaubenssätzen wie „Ich bin in Ordnung!“ oder „Ich bin wertvoll!“ aktivieren. Diese und noch mehr positive Kernglaubenssätze gilt es dann zu verfestigen. Aber auch Schutzstrategien und dysfunktionale Verhaltensweisen wie das Streben nach Perfektion oder vorschneller Rückzug sollten beleuchtet und verstanden werden. Meist sind diese entstanden, um ein labiles Selbstwertgefühl auszugleichen. Überträgt man sie gedanklich in das Sonnenkind, so mutieren sie zu Schatzstrategien; also funktionale Verhaltensweisen. Wenn ich nicht mehr völlig perfekt sein will oder mich nicht mehr sofort zurückziehe, was mache ich dann? So erhält das Sonnenkind eine Vision und ein Ziel: Es ist leichter, ein altes Muster aufzugeben, wenn etwas Neues in erreichbarer Nähe ist. Und dies verleiht ein hohes Maß an Motivation.
Wichtig ist, achtsam mit sich selbst umzugehen. Wer mit Achtsamkeit seinem inneren Kind begegnet, findet die Prägung auch im Alltag schnell wieder. Hier spielt wieder das Schattenkind eine übergeordnete Rolle: Die damit verbundenen Gefühle wie Angst, Trotz oder Trauer kommen besonders schnell ins Bewusstsein und zeigen, dass man wieder in alte Muster verfällt. Achtet man darauf, ist der berühmte „Aha-Effekt“ fast schon vorprogrammiert.
Alte Gefühle und Muster erkennen
In der Regel kann man ein altes Gefühl daran erkennen, dass es jemanden schon lange begleitet. Es ist ein vertrautes Gefühl, bei dem ein Zusammenhang zu Erlebnissen und Erinnerungen hergestellt werden kann.
Problematisch wird dies, wenn Menschen kaum Zugang zu ihren Gefühlen haben. Sie haben schon in der Kindheit gelernt, sich anzupassen und eher wenig eigene Gefühle zu entwickeln. Hier sollte daran gearbeitet werden, den Zugang zu seiner eigenen Gefühlswelt wieder zu öffnen.
Hilfreich kann es sein, einmal darüber nachzudenken, in welchen Situationen man überreagiert hat oder wann es zu Konflikten gekommen ist. In diesen Phasen agieren wir häufig aus unserem inneren Kind heraus, ohne dass wir uns dessen bewusst sind. Ein erster Schritt in die richtige Richtung ist das Erkennen, dass es sich hierbei um ein altes Muster handelt, das mit dem heutigen Leben eigentlich gar nichts mehr zu tun hat. Dann fällt dies auch im Alltag auf, was ein Umdenken ermöglicht.
Etwas mehr Selbstverständnis
Letztendlich kann sich jeder ein wenig mit seinem inneren Kind beschäftigen, um sich selbst besser verstehen zu können. Um mit negativen Emotionen klarzukommen oder sie vielleicht gar nicht erst zu spüren, entwickelt jeder individuelle Schutzstrategien wie absolute Kontrolle, Rückzug oder das Streben nach Perfektion und Harmonie. Diese Strategien führen im zwischenmenschlichen Bereich oft zu Problemen. Andere können nicht nachvollziehen, warum wir so (über-) reagieren. Die eigenen Strategien und Muster als solche zu erkennen gehört zum ersten Schritt, mit dem inneren Kind Frieden zu schließen.
Es ist aber auch wichtig, Belastungen, Verletzungen und traurige Ereignisse aus unserer Kindheit anzunehmen. Der Psychologe spricht hier von der Beschäftigung mit dem Schattenkind, das getröstet werden möchte. Diese negativen Erfahrungen gewinnen an Neutralität, wenn wir uns selbst Mitgefühl, Wohlwollen und Verständnis entgegenbringen. Wenn wir verstehen, was uns als Kind widerfahren ist, können wir dies als Erwachsener aus einem ganz anderen Blickwinkel betrachten und daran arbeiten, dass uns belastende Kindheitserinnerungen heute nicht mehr im Wege stehen.
Bis zum nächsten Mal und bleiben Sie gesund!
Ihr Frank Hartung
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